Zensur im Land des Lächelns
Macbeth in Bangkok
Während die Augen des Westens hoffnungsvoll und
besorgt auf Burma ruhen, sieht bei Thailand keiner so genau hin. Dabei sind die
Verhältnisse unter der Premierministerin Yingluck Shinawatra, der Schwester des
2006 gestürzten und seither im Exil lebenden Thaksin Shinawatra, keineswegs
stabil. Die Kulturschaffenden sehen sich mit Zensurmassnahmen konfrontiert.
Marko Martin, Marko Martin
28 November 2012
Während sich der Westen um Burma
bemüht, wird die Lage im Königreich Thailand gern als stabil betrachtet. Wer
genauer hinschaut, sieht Vorboten des Unheils. Thailand wird gegenwärtig von
der Schwester des 2006 gestürzten und seither im Exil lebenden Thaksin
Shinawatra regiert, der noch immer polarisiert. Für die einen ein autoritärer
Reformer, der Thailand modernisieren wollte, für die anderen ein
milliardenschwerer Populist, der die Monarchie nur schleifen will, um eine
Quasidiktatur zu errichten – eine Art Hugo Chávez Südostasiens. Und
zwischendrin, als Spielball im Kampf zwischen Armee und royalistischer Elite
auf der einen und den Neonationalisten der gegenwärtigen Regierung Yingluck auf
der anderen Seite: profilierte Filmemacher wie Ink K (so der Künstlername der
Regisseurin, deren gesellschaftskritischer Film «Citizen Juling» 2009 mit
Erfolg auf der Berlinale gezeigt wurde) und ihr Mann, der Fotokünstler Manit
Sriwanichpoom.
Wir sitzen in der Fotogalerie «Katmandu»
in einer ruhigen Seitenstrasse, unweit der berühmten Sukhumvit-Road. Schräg
gegenüber befindet sich ein farbensatter Hindu-Tempel, die Restaurants und
Cafés der indischen Minderheit verbreiten einen nostalgischen Hauch von
Indochina, und als ein korpulenter Mann den Raum betritt, den die Regisseurin
als «ihren Macbeth» vorstellt, könnte die Idylle perfekter nicht sein:
entspanntes Bohèmeleben. Doch das Gegenteil ist der Fall. Mochte Ing Ks neuer,
im Frühjahr fertiggestellter Film «Shakespeare must die» auch die erste
einheimische Filmproduktion sein, in welcher die Wortkraft des Dramatikers auch
in Thai zu hören ist – die Zensoren haben den Film nun endgültig verboten.
«Zuerst fühlten sich die
Königstreuen beleidigt und dann die Thaksin-Leute. Weil sie beide witterten,
dass die Geschichte um Macbeth ein Spiegel ihres eigenen Verhaltens ist. Und so
haben sie dann meine Arbeit eingesargt.» Die fragil und doch selbstbewusst
wirkende Mittfünfzigerin beisst sich auf die Lippen, um Contenance zu wahren. «Jahre
der Übersetzung und des Drehbuchschreibens, die Suche nach einer guten Crew und
ein wenig Filmförderung. Und als wir dann endlich drehen konnten, war es
Frühsommer 2010, you know.» In jenen Wochen hatten die mit Thaksin verbundenen
«Rothemden» das Zentrum Bangkoks lahmgelegt. Bis heute dauert der Streit an, ob
die damalige Regierung der königsnahen «Gelbhemden» dann wirklich in letzter
Minute einen Bürgerkrieg verhinderte oder durch den befohlenen Armee-Einsatz,
der knapp hundert Tote forderte, lediglich die eigenen Pfründen blutig
verteidigte.
Die Realität als Fussnote zur
Fiktion: «Shakespeare must die» erzählt im Rahmen einer «Macbeth»-Aufführung
die Geschichte einer Theatergruppe und eines skrupellosen Aufsteigers namens
«Dear Leader». Die 2010 noch den «Gelbhemden» nahe Zensurbehörde monierte bei
einer Szenen-Kontrolle zwar eine angeblich königkritische Sequenz, die
unbedingt zu schneiden sei, legte dem Projekt danach jedoch keine weiteren
Steine in den Weg. Nach den Parlamentswahlen wurde die Kommission indes sofort
von «Rothemden» dominiert und klagte Ing K an, durch eine exzessive Verwendung
der Farbe Rot «nationale Zwietracht zu säen».
Die Regisseurin verdreht die Augen.
«So viel zum Label ‹Reformer›, das sich diese Leute anheften. Auch sie exekutieren
Thailands jahrzehntealtes Zensurgesetz und achten darauf, dass Tabus nicht zur
Sprache kommen. Was aber kann ich dafür, dass das Blut, welches Macbeth und
‹Dear Leader› vergiessen, nun einmal rot ist? Und weshalb sollte es die
‹öffentliche Moral› gefährden, wenn ich in einer anderen Szene an das Massaker
von 1976 erinnere, das damals zahllosen Studenten das Leben gekostet hat? Es
ist ein gefährliches Spiel, das sie betreiben: Wenn weder in den Massenmedien
noch in der Kunst unsere Konflikte thematisiert werden dürfen, besteht die
Gefahr, dass sie immer wieder eruptiv ausbrechen.»
Ihre Kollegin Tanyawarin Sukhapisit traf es ähnlich: Ihr
Film «Insects in the backyard», der vom Sorgerechtskampf eines transsexuellen
Vaters um seine Söhne handelte, fiel ebenfalls unter den Bann. In beiden Fällen
geht es um das Selbstbild Thailands, an dessen kritischer Korrektur letztlich
weder Gelbe noch Rote interessiert sind. Scharen sich Erstere um den
Pfründe-Klüngel des konservativen Königshauses, ist der vermeintlich modernere
und sozialere Neonationalismus der Letzteren nur ein Vorwand, um ebenfalls an
die Futterkrippen zu gelangen. «Macbeth ist überall», sagt der
Macbeth-Schauspieler mit einem unfrohen Lachen, während Ing K ergänzt:
«Überall, ausser in den Kinosälen und in den Pseudodebatten der Massenmedien,
wo dem Westen weiterhin ein Land-des-Lächelns-Bild vorgegaukelt wird.»
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