Macbeth in Bangkok

11.29.2012

 





Zensur im Land des Lächelns
Macbeth in Bangkok

Während die Augen des Westens hoffnungsvoll und besorgt auf Burma ruhen, sieht bei Thailand keiner so genau hin. Dabei sind die Verhältnisse unter der Premierministerin Yingluck Shinawatra, der Schwester des 2006 gestürzten und seither im Exil lebenden Thaksin Shinawatra, keineswegs stabil. Die Kulturschaffenden sehen sich mit Zensurmassnahmen konfrontiert.
                     



Marko Martin, Marko Martin
28 November 2012
Während sich der Westen um Burma bemüht, wird die Lage im Königreich Thailand gern als stabil betrachtet. Wer genauer hinschaut, sieht Vorboten des Unheils. Thailand wird gegenwärtig von der Schwester des 2006 gestürzten und seither im Exil lebenden Thaksin Shinawatra regiert, der noch immer polarisiert. Für die einen ein autoritärer Reformer, der Thailand modernisieren wollte, für die anderen ein milliardenschwerer Populist, der die Monarchie nur schleifen will, um eine Quasidiktatur zu errichten – eine Art Hugo Chávez Südostasiens. Und zwischendrin, als Spielball im Kampf zwischen Armee und royalistischer Elite auf der einen und den Neonationalisten der gegenwärtigen Regierung Yingluck auf der anderen Seite: profilierte Filmemacher wie Ink K (so der Künstlername der Regisseurin, deren gesellschaftskritischer Film «Citizen Juling» 2009 mit Erfolg auf der Berlinale gezeigt wurde) und ihr Mann, der Fotokünstler Manit Sriwanichpoom.
Wir sitzen in der Fotogalerie «Katmandu» in einer ruhigen Seitenstrasse, unweit der berühmten Sukhumvit-Road. Schräg gegenüber befindet sich ein farbensatter Hindu-Tempel, die Restaurants und Cafés der indischen Minderheit verbreiten einen nostalgischen Hauch von Indochina, und als ein korpulenter Mann den Raum betritt, den die Regisseurin als «ihren Macbeth» vorstellt, könnte die Idylle perfekter nicht sein: entspanntes Bohèmeleben. Doch das Gegenteil ist der Fall. Mochte Ing Ks neuer, im Frühjahr fertiggestellter Film «Shakespeare must die» auch die erste einheimische Filmproduktion sein, in welcher die Wortkraft des Dramatikers auch in Thai zu hören ist – die Zensoren haben den Film nun endgültig verboten.
«Zuerst fühlten sich die Königstreuen beleidigt und dann die Thaksin-Leute. Weil sie beide witterten, dass die Geschichte um Macbeth ein Spiegel ihres eigenen Verhaltens ist. Und so haben sie dann meine Arbeit eingesargt.» Die fragil und doch selbstbewusst wirkende Mittfünfzigerin beisst sich auf die Lippen, um Contenance zu wahren. «Jahre der Übersetzung und des Drehbuchschreibens, die Suche nach einer guten Crew und ein wenig Filmförderung. Und als wir dann endlich drehen konnten, war es Frühsommer 2010, you know.» In jenen Wochen hatten die mit Thaksin verbundenen «Rothemden» das Zentrum Bangkoks lahmgelegt. Bis heute dauert der Streit an, ob die damalige Regierung der königsnahen «Gelbhemden» dann wirklich in letzter Minute einen Bürgerkrieg verhinderte oder durch den befohlenen Armee-Einsatz, der knapp hundert Tote forderte, lediglich die eigenen Pfründen blutig verteidigte.
Die Realität als Fussnote zur Fiktion: «Shakespeare must die» erzählt im Rahmen einer «Macbeth»-Aufführung die Geschichte einer Theatergruppe und eines skrupellosen Aufsteigers namens «Dear Leader». Die 2010 noch den «Gelbhemden» nahe Zensurbehörde monierte bei einer Szenen-Kontrolle zwar eine angeblich königkritische Sequenz, die unbedingt zu schneiden sei, legte dem Projekt danach jedoch keine weiteren Steine in den Weg. Nach den Parlamentswahlen wurde die Kommission indes sofort von «Rothemden» dominiert und klagte Ing K an, durch eine exzessive Verwendung der Farbe Rot «nationale Zwietracht zu säen».
Die Regisseurin verdreht die Augen. «So viel zum Label ‹Reformer›, das sich diese Leute anheften. Auch sie exekutieren Thailands jahrzehntealtes Zensurgesetz und achten darauf, dass Tabus nicht zur Sprache kommen. Was aber kann ich dafür, dass das Blut, welches Macbeth und ‹Dear Leader› vergiessen, nun einmal rot ist? Und weshalb sollte es die ‹öffentliche Moral› gefährden, wenn ich in einer anderen Szene an das Massaker von 1976 erinnere, das damals zahllosen Studenten das Leben gekostet hat? Es ist ein gefährliches Spiel, das sie betreiben: Wenn weder in den Massenmedien noch in der Kunst unsere Konflikte thematisiert werden dürfen, besteht die Gefahr, dass sie immer wieder eruptiv ausbrechen.»
Ihre Kollegin Tanyawarin Sukhapisit traf es ähnlich: Ihr Film «Insects in the backyard», der vom Sorgerechtskampf eines transsexuellen Vaters um seine Söhne handelte, fiel ebenfalls unter den Bann. In beiden Fällen geht es um das Selbstbild Thailands, an dessen kritischer Korrektur letztlich weder Gelbe noch Rote interessiert sind. Scharen sich Erstere um den Pfründe-Klüngel des konservativen Königshauses, ist der vermeintlich modernere und sozialere Neonationalismus der Letzteren nur ein Vorwand, um ebenfalls an die Futterkrippen zu gelangen. «Macbeth ist überall», sagt der Macbeth-Schauspieler mit einem unfrohen Lachen, während Ing K ergänzt: «Überall, ausser in den Kinosälen und in den Pseudodebatten der Massenmedien, wo dem Westen weiterhin ein Land-des-Lächelns-Bild vorgegaukelt wird.»

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